Gjendebu - Olavsbu: 15 km auf's Fjell, 1400 m hoch
Am nächsten Morgen wache ich ausgeschlafen und voller Taten- und Harndrang auf. Erstmal in die Klamotten und raus das Trockenklo gesucht. Das liegt, wie mir eine der freundlichen Schottinnen erklärt, auf den Hügel rauf und durch den Tiefschnee ca. 150 m entfernt. Im Anbetracht der Dringlichkeit und der erfrischenden Minus 18°C wähle ich einen kürzeren, einfacheren Weg. Danach bin ich auch wieder offen für andere Sinneseindrücke. Die Sonne scheint strahlend vom Himmel herunter und es verspricht ein Tag des Kaisers, des Königs und der Prinzessin zu werden. Wind ist nicht vorhanden. Wieder zurück in der Hütte, stelle ich fest, dass die Schottinnen schon wieder eingeheizt haben und sich bereits über ihr Frühstück hermachen. Eine genauere Inspektion der Speisekammer ergibt, dass die Vorräte wirklich nahezu unerschöpflich sind. Alles was Norweger dehydrieren und in Dosen, Tüten und Kartons packen können, findet sich hier wieder. Von der Packung Knäckebrot, die Frank sicherheitshalber aus Deutschland importiert hat, finden sich an die 300 Leidensgenossen in der dunklen und unbeheizten Kammer. Ebenso Marmelade, Schmelzkäseecken, Margarine, Kaffee- und Kakao-Portionstüten, Wurstdöschen, Trockenmilch und und und. Das Frühstück ist auf jedenfall erstmal gesichert und auf dem vorhandenen Gaskocher machen wir uns einen dampfenden Kaffee.

Dieses Verpflegungssystem auf den unbewirtschafteten Hütten in Norwegen ist einfach nur genial. Eigentlich braucht man nur ein wenig Kraftnahrung für unterwegs (Schoki, Müsliriegel, Trockenobst, Nüsse etc), eine Thermoskanne, Schlafsack und eine VISA-Karte. Auf den Hütten ist genug und für nicht-Vegetarier sogar erstaunlich abwechslungsreiches Essen vorhanden. Ein Gaskocher mit zwei Flammen ist immer vorhanden, ebenso Holz und Streichhölzer sowie Kerzen. Vorsichtshalber sollte man eine Zeitung zum Feueranmachen mitnehmen. Das vereinfacht die Startprozedur erheblich. Wasser bekommt man durch Schmelzen von Schnee oder Eis (dazu ist dann das Feuer erforderlich). Geschirr, Besteck und Abwaschutensilien sind ausreichend vorhanden. In den Schlafräumen befinden sich richtig lange Betten mit Matratze, Decken und Kopfkissen. Das Bezahlen ist denkbar einfach: man schreibt auf, was man verbraucht hat, entnimmt die Kosten einer Preisliste (auch ein Teebeutel findet sich dort mit 0,5 Kronen), rechnet alles zusammen, schreibt eine VISA-Einzugsermächtigung über den errechneten Betrag aus und wirft den Zettel in eine große Box, die mehrmals im Jahr vom DNT geleert wird. Dieses Prinzip, das auf großem Vertrauen beruht, scheint zu funktionieren. Hut ab!

Während Frank und ich noch genüßlich in unsere Knäckebrote krachen, machen sich die Schottinnen schon an ihre Rechenaufgaben, sammeln ihren Teil der gemütlichen Raumdekoration von den Leinen ein und sind erstaunlich schnell verschwunden und wieder på skitur wie der Norweger sagt. Bei Frank und mir dauerts noch ein wenig, es wird bummelige 10:30 Uhr, bis wir uns vor die Tür wagen. Die Tour geht jetzt kontinuierlich bergauf, was zusammen mit den Sonnenstrahlen und der Windstille bewirkt, dass wir selbst bei -10°C die Jacken ausziehen und die Ärmel hochkrempeln können.

Die Sinneseindrücke sind unglaublich, berauschend, ich komme mir vor wie in einer anderen Welt, wie auf einem anderen Stern. In dieser wundervollen Ruhe glitzern die Schneekristalle auf dem Boden wie der schönste Sternenhimmel bei Nacht. Die unberührten Schneeflächen schmiegen sich an die Steine, die noch spärlich vorhandene Vegetation und überziehen alles mit sanften Schwüngen, die ein Zauber von Licht und Schatten und allen Nuancen dazwischen hervorrufen. Lege ich den Kopf in den Nacken und drehe mich um 360°, so kann ich Blautöne des Himmels wie noch nie zuvor erblicken. Die Schönheit in dieser Wüste ist unbeschreiblich und kann nur erlebt werden. Ich bin glücklich.

Ein letzter Blick zurück über den Gjendesee mit der Besshøe im Hintergrund und wir tauchen in eine neue Schneelandschaft des Fjells ein, die immer mehr an eine Wüste erinnert. Die relative Enge des zwischen den Felsen liegenden Gjendesees weicht einer grenzenlosen, weißen Weitsicht, die erst am Horizont endet. Nachdem wir gut 1400m Höhe erreicht haben, liegt der anstrengendste Teil der Tour hinter uns. Zwischendurch mal eine kleine Abfahrt - herrlich. Wieder so gegen 6 Uhr erreichen wir die ebenfalls unbewirtschaftete Hütte Olavsbu, die wunderschön zwischen vier 2000ern auf etwa 1500m Höhe liegt. Auch hier ist bereits wieder eingeheizt, wir treffen ein belgisches Ehepaar, beide stark über 60 Jahr alt, das Frank bereits von seinem Aufenthalt in Gjendesheim kennt. Die Hütte ist supergemütlich und wir entschließen uns, hier zwei Nächte zu bleiben.

So gegen 7 Uhr werde ich von Frank rausgerufen und ich falle fast um, als ich die Lichspiele des Sonnenunterganges sehe. Der Himmel zwischen den hohen Bergen ist in fantastische Gelb-, Orange- und Rottöne getaucht, wie ich sie hier im platten Land noch nie gesehen habe. Leider wird es nach kurzer Zeit ungemütlich kalt (das Thermometer an der Hütte hat gerade die Minus 20°C Marke unterschritten) und ich wende mich wieder der Hütte zu, die in meinem Rücken liegt. Was ich in der Richtung dann allerdings erblicke, läßt mich die Kälte sofort wieder vergessen. Das Farbenspiel dort am Horizont zeigt alle Abstufungen zwischen Teifblau, Dunkelviolett und Bordeauxrot. Nach einiger Zeit gewinnt dann doch mein Selbsterhaltungstrieb die Oberhand und ich begebe mich gehorsam wieder in die Wärme.

Zum Abendbrot gibts ein dreigängiges Menue aus Vorsuppe, typisch norwegischen Rentierfleischbällchen mit Nudeln und einem Fruchtcoctail als Nachtisch. Die Schlafräume sind recht frisch (schätzungsweise so um die 0-5°C) und ich bin über meinen dicken Daunenschlafsack richtig froh, in dem ich dann auch bald gemütlich einschlafe ...
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